FREUDE SCHÖNER GÖTTERFUNKEN
Freude schöner Götterfunken
1. Freude schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder,
was die Mode streng geteilt.
Alle Menschen werden Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt.
2. Wem der große Wurf gelungen,
eines Freundes Freund zu sein,
Wer ein holdes Weib errungen,
mische seinen Jubel ein!
Ja, wer auch nur eine Seele
sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer’s nie gekonnt, der stehle
weinend sich aus diesem Bund!
3. Freude heißt die starke Feder
in der ewigen Natur.
Freude, Freude treibt die Räder
in der großen Weltenuhr.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Sonnen aus dem Firmament,
Sphären rollt sie in den Räumen,
die des Sehers Rohr nicht kennt.
FREUDE SCHÖNER GÖTTERFUNKEN
Das Lied “Freude schöner Götterfunken”, besser bekannt als “Ode an die Freude”, hat eine faszinierende und vielschichtige Geschichte, die sowohl literarische als auch musikalische Aspekte umfasst.
Ursprung des Textes: Die textliche Grundlage für “Freude schöner Götterfunken” stammt aus dem Gedicht “An die Freude” von Friedrich Schiller. Schiller verfasste dieses Gedicht im Sommer 1785, als er gerade 25 Jahre alt war. Es wurde erstmals in der Zeitschrift “Thalia” veröffentlicht und bestand ursprünglich aus neun Strophen zu je acht Versen, gefolgt von einem vierzeiligen Refrain. Schillers Gedicht war stark von den Idealen der Aufklärung geprägt. Es feierte die Freude als eine universelle, verbindende Kraft, die soziale und kulturelle Barrieren überwindet.
Die erste Strophe, die später von Beethoven vertont wurde, lautet:
“Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.”
Diese Zeilen vermitteln die Idee der Freude als göttliche Kraft (“Götterfunken”), die aus dem Elysium, dem mythologischen Paradies, stammt. Sie betont die vereinende Kraft der Freude, die Menschen über alle Unterschiede hinweg zu “Brüdern” macht.
Beethovens Vertonung: Ludwig van Beethoven war schon als Teenager von Schillers Gedicht fasziniert. Mit nur 15 Jahren entdeckte er “An die Freude” und war sofort von der Idee begeistert, es zu vertonen. Allerdings sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis er diesen Traum verwirklichte. Die Vertonung des Gedichts fand schließlich im Rahmen von Beethovens 9. Sinfonie statt. Diese Sinfonie, die als eines der größten Meisterwerke der klassischen Musik gilt, wurde 1824 uraufgeführt. Beethoven verwendete Schillers Text im vierten und letzten Satz der Sinfonie. Interessanterweise entstand die Melodie, die wir heute mit “Freude schöner Götterfunken” verbinden, bereits viel früher. Beethoven hatte sie ursprünglich 1785 für eine Klaviersonate komponiert. Die Entscheidung, diese Melodie für eine Chor- und Orchesterkomposition zu verwenden, traf er erst später.
Komposition unter schwierigen Umständen: Die Entstehung der 9. Sinfonie und damit auch der “Ode an die Freude” fiel in eine besonders schwierige Zeit in Beethovens Leben. Der Komponist war zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig taub und kämpfte mit Isolation, Krankheit, Depressionen und sogar Selbstmordgedanken. Paradoxerweise schuf Beethoven in dieser Zeit der persönlichen Dunkelheit ein Werk, das von Freude und Hoffnung handelt. Die Arbeit an der “Ode an die Freude” wurde für ihn zu einem Anker, der ihm half, aus seiner Depression herauszufinden. Er sah in der Komposition die Möglichkeit, die Menschheit zu “erleuchten” und die Werte der Hoffnung, Freiheit und des Friedens zu verbreiten.
Die Premiere: Die Uraufführung der 9. Sinfonie am 7. Mai 1824 im Theater am Kärntnertor in Wien war ein denkwürdiges Ereignis. Obwohl Beethoven aufgrund seiner Taubheit die Aufführung nicht hören konnte, stand er neben dem Dirigenten und gab den Takt vor. Am Ende des Konzerts musste ihn einer der Solisten umdrehen, damit er den tosenden Applaus und die stehenden Ovationen des Publikums sehen konnte.
Bedeutung und Nachwirkung: “Freude schöner Götterfunken” hat seit seiner Entstehung eine enorme kulturelle und politische Bedeutung erlangt. Das Werk wird oft als Hymne der Menschheit bezeichnet und steht für die Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die während der Französischen Revolution propagiert wurden. Die Melodie wurde in verschiedenen Kontexten adaptiert und verwendet. Sie diente als Grundlage für die Hymne der Europäischen Union und des Europarates. In verschiedenen Ländern wurde sie für unterschiedliche Zwecke genutzt, von politischen Bewegungen bis zu Sportvereinen.
Musikalische Analyse: Musikalisch zeichnet sich “Freude schöner Götterfunken” durch seine eingängige Melodie und kraftvolle Orchestrierung aus. Beethoven verwendete ein großes Orchester, Chor und Solisten, um eine monumentale Klangwelt zu schaffen. Die Melodie selbst ist relativ einfach und leicht zu merken, was zu ihrer weiten Verbreitung beigetragen hat. Der Text wird zunächst von den Solisten vorgetragen und dann vom Chor aufgenommen, was eine Steigerung der Intensität bewirkt. Die Orchestrierung unterstützt diese Steigerung, indem sie von leisen, zurückhaltenden Passagen zu kraftvollen, jubelnden Abschnitten übergeht.
“Freude schöner Götterfunken” ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Kunst persönliche und gesellschaftliche Grenzen überwinden kann. Entstanden aus der Feder eines jungen, idealistischen Dichters und vertont von einem tauben, aber genialen Komponisten, hat dieses Werk die Kraft, Menschen über Jahrhunderte hinweg zu bewegen und zu inspirieren. Es bleibt ein zeitloses Symbol für die vereinende Kraft der Musik und die universelle Sehnsucht nach Freude und Brüderlichkeit.